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Hier finden Sie regelmäßig Beiträge über Gegenstände aus unseren Ausstellungen und unserer Sammlung. Durch die ausgewählten Stücke lassen wir die Geschichte(n) früherer Generationen lebendig werden. Wir erzählen Wissenswertes zu Traditionen und Bräuchen der Vergangenheit. Mit Beispielen zeitgenössischer Kunst im sakralen Raum lenken wir den Blick auch auf Gegenwart und Zukunft.

Von der Kirchenweihe zur „Kerwa“

In vielen deutschsprachigen Regionen ist die Kirchweih bis heute ein fest verankerter Brauch.

Bronzenes Weihrauchfass ohne Schnur

Weihrauchfass, 13. Jahrhundert, Bronze, Leihgabe: Evang.-Luth. Kirchengemeinde Marktbergel

Weihekreuz, an der nördl., östl. und südl. Chorwand, Fresko, farbig, Rekonstruktion der Originale von ca. 1420, Museum Kirche in Franken

Kirchweihzug beim Kirchweihbaum auf den Straßen von Poppenreuth

Johann Alexander Boener, Kupferstich, Kirchweih in Poppenreuth, 1708, Pfarrarchiv Poppenreuth

Paare tanzen; im Zentrum steht der Schäfer mit dem "Betz" beim Kirchweihbaum

Museumskirchweih 2016 mit dem "Betzentanz" um den Kirchweihbaum

Knieküchle gibt es an vielen "Kerwas" als leckere in Fett herausgebackene Spezialität

Geschmücktes Schaf

Der geschmückte "Betz" wartet darauf, dass der Wecker klingelt und er den Besitzer wechselt

Das Kirchweihfest bietet den jährlichen Höhepunkt sozialer Interaktion in vielen Gemeinden. Rund um die Feierlichkeiten haben sich regionsabhängige Bräuche entwickelt und der Name des Festes hat durch die örtlichen Dialekte unterschiedlichste Färbung erhalten: von Chibli über Kirmes, Käada und Kerb bis zum fränkischen Kärwa/Kerwa. Es handelt sich bei diesen allesamt um regionale Versionen der Wörter Kirchweih, Kirchmess oder Kirchtag. Zwar ist die Feier mit der Zeit mehr ins weltliche Brauchtum übergegangen, doch das zugrunde liegende kirchliche Fest lässt sich unschwer erraten: die Weihe der Kirche.  

Auch wenn „Weihe“ an sich bereits eine sakrale Verwendung nahelegt (das urgermanische Wort „weiha“ auf das es zurückgeht, bedeutet heilig), wird es häufig im profanen Sprachgebrauch verwendet, so beispielsweise bei der ‚Einweihung‘ profaner Orte.  Im christlichen Sinn ist unter Weihe die feierliche Erhebung einer Person oder eines Gegenstandes in den Dienst Gottes zu verstehen. Das Kirchengebäude wird durch die Weihe zum Haus Gottes erhoben und dafür zumindest in katholischer Tradition von dämonischen Kräften gereinigt.  Auch Gegenstände, die für liturgische Handlungen gebraucht werden, wie Kirchenglocken, Altäre, Kerzen, Orgeln, Kanzeln oder Fahnen, werden geweiht. Die Weihe eines für sakralen Gebrauch verwendeten Gebäudes lässt sich allerdings schon in vorchristlicher Tradition verfolgen. Schriftliche Zeugnisse geben darüber Auskunft, dass Tempelweihen und damit zusammenhängende Feierlichkeiten sowohl in jüdischer als auch in römischer Tradition der Antike nicht unüblich waren. Auch im Antiken Griechenland sowie im nord- und mitteleuropäischen Paganismus (Mehrgötterreligion) wird es Tempelweihen gegeben haben. Von einer Übernahme dieses religiösen Ritus durch das frühe Christentum lässt sich ausgehen, auch wenn christliche Kirchenweihen erst seit dem vierten Jahrhundert überliefert sind.

Bei der Weihe der Kirche kommt der Weihrauch zum Einsatz, der schon in der Bibel als Kostbarkeit dem Jesuskind von den drei Weisen geschenkt wurde. Ursprünglich in Begräbnisriten verwendet, wurde er in der Spätantike zur Ehrung der Bischöfe und später zu Ehren Christis, zum Beispiel durch die Beräucherung von liturgischen Gegenständen wie dem Altar verwendet. Die Beweihräucherung erfolgt mit Hilfe eines Weihrauchfasses, das an einer Kette herumgeschwungen wird, um den Rauch zu verteilen. Da der Rauch selbst flüchtig ist, dienen uns die überlieferten Weihrauchfässer, die in katholischen Kirchen bis heute noch Einsatz finden, als Erinnerung an den Ritus der Beweihräucherung.

Weihekreuze, die sich auch im Museum Kirche in Franken an den Wänden der Spitalkirche zum Hl. Geist finden lassen, geben ebenso Zeugnis über die Weihe der Kirche. Sie treten in Zwölferzyklen auf und markieren die Stellen an der Wand, die der Bischof mit Chrisam (Salböl) gesalbt hat. Die Anzahl geht auf die zwölf Apostel zurück. Weihekreuze können auch auf der Deckplatte von Altären oder auf liturgischem Gerät gefunden werden.

Bei der Weihe der Kirche handelt es sich um einen festlich begangenen Ritus, doch die Kirchweihbräuche von heute scheinen wenig damit zu tun zu haben. Die sich jährlich wiederholenden Feierlichkeiten in Erinnerung an die Kirchenweihe lassen sich in die Spätantike zurückverfolgen.  So wurde die im Jahr 335 erfolgte Weihe der Kreuzkirche in Jerusalem jährlich mit aufwendigen Vorbereitungen gefeiert.

Im Frühmittelalter forderte Papst Gregor der Große den Bischof von Angeln, Augustinus, dazu auf, die Opferbräuche der missionierten Heiden in christlichem Sinne umzugestalten. Die früher als Opfertiere benötigten Rinder sollten als religiöse Mahlzeiten an Festlichkeiten dienen, die am Kirchweihtage oder am Namenstag des Kirchenpatrons abgehalten werden sollten. Der Schutzheilige oder Patron wurde von jeder Kirchengemeinde gewählt und die Kirche trug fortan seinen Namen.  So trägt beispielsweise die Stadtkirche Bad Windsheims den Namen des Frankenapostels St. Kilian. Das Kirchweihdatum älterer Kirchen geht dann häufig auf das Weihedatum der Kirche oder den Namenstag ihres Kirchenpatrons zurück.

Eine Eingliederung heidnischen Brauchtums in christliche Tradition kann auch als Beginn der weltlich ausgerichteten Kirchweihfeierlichkeiten betrachtet werden. Die Profanierung kirchlicher Feste, bei denen es traditionell auch eine Armenverköstigung gab, lässt sich jedoch nicht nur auf die Eingliederung heidnischer Brauchelemente zurückführen. Vielmehr lässt sich eine natürliche Entwicklung erkennen, die sich schon in biblischen Zeiten aufspüren lässt: Schon Paulus mahnt in seinem ersten Brief an die Korinther, dass Gemeindezusammenkünfte in Ess- und Trinkgelage ausarten würden und sich der intendierten Ausrichtung des Hl. Abendmahl entfremdeten. (1. Kor. 11, 20-22).  Zwar ist bei Paulus nicht von Kirchweihfeierlichkeiten die Rede, aber, dass das ohnehin durch eine Mahlzeit begleitete Fest sich in ähnlicher Weise entwickelte, verwundert nicht.

Der Zustrom von Menschen wurde noch durch die mittelalterliche Funktion der Kirchweih als Ablasstag erhöht. An diesen Tagen bekam die Bevölkerung Ablass gewährt. An der Kirchweih konnte man Ablassbriefe mit bis zu 40 Tagen Ablass vom Fegefeuer erhalten. Die davon angelockten Menschenmengen bedeuteten florierende Geschäfte für ortsansässige Händler und Gastronomen sowie fahrendes Volk. Ein Fest mit Verköstigung und Märkten auf denen Allerlei zum Kauf angeboten wurde und sicherlich auch Unterhaltung nicht zu kurz kam, war also bereits im Mittelalter üblich. Da mit größeren Menschenmengen fast ohne Ausnahme Ausschreitungen und Unsittlichkeiten einhergehen, geriet die Kirchweih seitens der Kirche unter Kritik. Besonders im Nachgang der Reformation wurde die Kirchweih von Martin Luther im Zuge seiner allgemeinen Brauchkritik missachtet. Doch die protestantische Bevölkerung wollte auf die Kirchweih genauso wenig verzichten wie die Katholische.

Der Termin der Kirchenweihe war in jüngeren Kirchen noch bekannt und an diesem Datum wurden die jährlichen Kirchweihfeierlichkeiten auch begonnen. Bei Kirchen, die vom katholischen in den protestantischen Gebrauch übergingen, wurde das alte Kirchweihdatum zumeist übernommen. Da in den ländlichen Gegenden in jeder kleinen Gemeinde ein Kirchweihfest gefeiert wurde und die traditionellen Daten über das ganze Jahr hinweg verteilt waren, kam es zu regelrechten Wanderströmen junger Leute, die jedes Wochenende in einer anderen nahegelegenen Ortschaft an der Feierstimmung teilhaben wollten. Dem versuchten die Diözesen im 19. Jahrhundert mit der Vereinheitlichung der Kirchweihdaten entgegenzuwirken.

Die dadurch nichtbetroffenen evangelischen Gemeinden haben bis heute die tradierten Kirchweihdaten. Die katholischen Gemeinden bestimmter Diözesen begehen die Kirchweih an den vereinheitlichten Daten. Andere Diözesen, in denen sich die Vereinheitlichung nicht durchgesetzt hat, feiern am tradierten Datum. Die Museumskirchweih des Fränkischen Freilandmuseums fand vor der Corona-Pandemie jährlich am ersten Sonntag im Mai statt. Da die Baugruppen des Freilandmuseums freilich keine natürlich gewachsenen Gemeinden sind, ist dieses Datum kein dem Freilandmuseum angestammtes. Das Datum ist jedoch auch nicht willkürlich gewählt, sondern orientiert sich am Kirchweihdatum Oberampfrachs, die Gemeinde aus der das historische Gasthaus des Freilandmuseums stammt.

Die Museumskirchweih integriert Traditionselemente fränkischer „Kerwas“ wie den festlichen Einzug mit Ochsengespann, das Aufstellen des Kirchweihbaums und den „Betzentanz“, bei dem ein Wecker an den Kirchweihbaum genagelt wird und Tanzpaare im Kreis um den Baum tanzen, bis der Wecker klingelt. Das Paar, das sich zu diesem Zeitpunkt in einer Kreismarkierung am Boden befindet, gewinnt ein geschmücktes Schaf stellvertretend für den namensgebenden Betz (Hammel).

Die Ausgestaltung des Kirchweihfests durch Spiele und Attraktionen wie den „Betzentanz“, die sich in vielen fränkischen Ortschaften tradiert haben, boten den Vorteil, dass dadurch mehr Personen von außerhalb angelockt und die Umsätze vor Ort gesteigert wurden, wovon die Landesherren durch Steuereinnahmen profitierten. Das Fest selbst markiert nach wie vor einen Höhepunkt des Jahres in vielen fränkischen Gemeinden und „die Kerwamadli und -boum“ bereiten sich Wochen vor dem Kirchweihdatum auf die Ausrichtung der Feierlichkeiten vor. Auch die restlichen Bewohner der Gemeinden treffen vielerlei Vorbereitungen. Das eigene Heim wird ausgiebig geputzt, um für den Besuch von Verwandten aus dem Umland startklar zu sein. Die Öfen im eigenen Haus sind mit der Herstellung von „Küchle“, „Gugelhupf“, „Schmalznudeln“ und „Hefezopf“ in Dauerbetrieb.  An den Kirchweihtagen selbst wird häufiger Amaletten- (Pfannkuchen oder Omelett ähnlich), Grießklößchen-, Leberklößchen- und Semmelklößchensuppe sowie Kartoffel- und Gurkensalat gegessen. In den ortsansässigen Wirtshäusern wird sich auf die Zubereitung von „Schäufele“, „Knöchla“, Sauerbraten und Klößen in größeren Mengen sowie den Ausschank von Unmengen Bier vorbereitet. Die Kinder bekommen Kindergeld und die Kirchweih wird nach regionaler Art ausgerichtet.

Wenn auch die Kirchweihfeierlichkeiten heute abgesehen vom Namen nur noch wenig mit der Weihe einer Kirche zu tun haben, so liegt die Profanierung der Jubiläumsfeierlichkeiten schon sehr weit zurück und ging teilweise wie bereits erwähnt auf die katholische Kirche selbst zurück. Als sehr alter, heute noch beständiger Brauch ist die Kirchweih ein Traditionsträger vieler kleinerer Rituale und Bräuche, die Bestandteil der Ausrichtung regionaler Feierlichkeiten wurden. So ist z. B. die Fürther Michaeliskirchweih mit ihrer 900-jährigen Tradition Teil des immateriellen Kulturerbes. (Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe | Deutsche UNESCO-Kommission)

 

 

Literatur:

Beekmann, Hannelore, Der Begriff „Fête du village“ und seine Bezeichnungen im Galloromanischen, Berlin/Boston, 2022.

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'Brauchtum, III. Brauchbereiche', in: Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 2, cols 580-582, in: Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online.

Hartinger, Walter, Religion und Brauch, Darmstadt 1992.

Heinz, A., Ivanov, V. and Gräb, W., “Kirchweihe”, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. http://dx.doi.org/10.1163/2405-8262_rgg4_COM_11798.

Kirchweih, in: Brauchwiki

Knauf, Ernst Axel und Kunzler, Michael, “Weihrauch”, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. http://dx.doi.org/10.1163/2405-8262_rgg4_SIM_224102.

Von Aufsess, Hans Max, Fränkische Kirchweihseligkeit, Nürnberg.